"Aber ich weiß nicht, wie es sich ereignet, und doch ereignet es sich gewiss, dass sich bei solchen Leuten, die ihrer Profession nach mehr Gelehrsamkeit haben sollten als andere, die sich mit gelehrten Arbeiten befassen, und mit solchen Geschäften, die von Büchern abhängen, ebensoviel Eitelkeit und Verstandesschwäche findet als bei irgendeiner anderen Art von Leuten. Kommt es daher, dass man mehr von ihnen verlangt und erwartet und dass man an ihnen die gewöhnlichen Fehler nicht entschuldigen kann? Oder, dass ihre Meinung viel zu wissen, ihnen mehr Dreistigkeit gibt, öffentlich hervorzugehen und sich in größerer Blöße zu zeigen, wodurch sie sich schaden und verraten?"
(Michel de Montaigne, Essais 1580.
Übertragen von Johann Joachim Bode)
Anmerkung: Michel de Montaigne (1533 - 1592)
Politiker und Philosoph, war neben seiner literarischen Betätigung als Vermittler zwischen den verfeindeten Parteien der Gegenreformationszeit aktiv. Sowohl der katholische König Heinrich III. als auch der (damals noch) protestantische Heinrich von Navarra schätzten seine Fähigkeiten.
Mit seinen ab 1571 verfassten Essais, deren zentrales Thema der Mensch in seiner leiblich-seelischen Ganzheit ist, begründete er eine neue, zwischen Dialog und Brief stehende literarische Gattung.